Personenkasten von Johanna Wand-Greve
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Der Tag begann damit, dass wir um 7:45 Uhr von unserem Schulparkplatz aus mit einem Bus nach Winterswijk aufbrachen. Nach knapp einer Stunde erreichten wir bereits das Ziel: Ein netter Herr und Sixtina Harris des Fördervereins e.V. Borken „Kolle-Kaal“ nahmen uns vor der alten Textilfabrik in Empfang.
Uns erwartete vor Ort zunächst ein Einblick in die Hintergründe rund um Johanna Reiss (als Kind: Annie), eine Jüdin, die in Winterswijk den Nationalsozialismus und seine Auswirkungen auf das jüdische Leben hautnah miterleben musste. Johanna Reiss musste sich für eine sehr lange Zeit gemeinsam mit ihrer Schwester bei der Bauernfamilie Oosterveld (Johan, seiner Frau Dientje und Opoe, der Oma), die die beiden Schwestern vor den Nazis schützen wollten, versteckt halten. Dazu baute die Familie einen Wandschrank, der gerade so genug Platz enthielt, dass die beiden Mädchen dort im Ernstfall Unterschlupf finden konnten.
Bei näherer Betrachtung der Ausstellung fiel uns an der Wand ein Zitat auf:
„Annie, ga niet de wereld in vol haat. Daar heb ik je niet voor gered.” – „Annie, gehe nicht in die Welt voller Hass. Dafür habe ich dich nicht gerettet.“
Dies, so gab Johanna Reiss in einem Interview 2018 an, soll Johan Oosterveld zu ihr gesagt haben, als sie am 1. April 1945 auf die Straße ging, um die kanadischen Soldaten am Tag der Befreiung Usselos zu begrüßen.
Zwar hatten wir Johanna Reiss bereits im Unterricht thematisiert, über den einleitenden Film wurden uns allerdings noch viele weitere Details über ihr Leben zuteil. Interessant ist, dass Johanna Reiss auch noch immer lebt und bis vor Kurzem Schulen besuchte, um ihre Geschichte mitzuteilen. Die alte Textilfabrik beinhaltet viele Überbleibsel von Johanna sowie eine Nachkonstruktion des Wandschranks. An die Führung durch das Museum schloss sich eine Filmvorstellung über die Synagoge in Winterswijk an. Zwar würden wir bei dem anschließenden Stadtrundgang an dieser vorbeikommen, aufgrund der Renovierungsarbeiten würden uns allerdings Einblicke verwehrt bleiben.
Dann ging es auch schon los! Frau Harris führte uns entlang der wichtigsten Stationen aus Annies Leben durch Winterswijk. So kamen wir an ihrem Elternhaus vorbei, das heute als Privathaus genutzt wird. Auch sahen wir von außen die bereits angesprochene Synagoge.
Am Bahnhof erzählte Frau Harris uns davon, dass dort früher ein Süßigkeitenautomat stand, an dem sich Annie als Kind oft bediente. Doch das Geld, das Annie bei ihrem letzten Besuch im Krankenhaus von ihrer kranken Mutter erhalten hatte, landete nicht, wie die Mutter es sich gewünscht hatte, im Automaten. Stattdessen bewahrte Annie die beiden Münzen als Erinnerung an diesen Abschied auf. Zudem erinnert eine Gedenktafel am Bahnhof an die mehr als 300 jüdischen Frauen und Männer aus Winterswijk, die von hier aus über das Zwischenlager Westerbork in die Vernichtungslager deportiert wurden.
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Auch wenn man an diesem Ort steht, fällt es uns wirklich schwer zu realisieren, was sich hier für Gräueltaten abgespielt haben.
Später kamen wir am alten Rathaus vorbei, in dem Herr Bos, ursprünglich Tierarzt, von den Nazis zum Bürgermeister ernannt worden war. Dort musste Annie sich von ihm als jüdisches Mädchen die Erlaubnis holen, überhaupt ihre jüdische Mutter im Krankenhaus besuchen zu dürfen. Herr Bos war der Vater von Annies früherer besten Freundin, mit der sie jedoch nicht mehr spielen durfte, seit die Nazis in den Niederlanden an die Macht gekommen waren.
Zuletzt erreichten wir ein Mahnmal, auf dem die Namen der verstorbenen Jüdinnen und Juden von Winterswijk verzeichnet sind.
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Die Masse der Namen und die nur kurzen Lebenszeiten zu sehen, machte uns sehr betroffen.
Von dort aus verabschiedete Frau Harris uns und wir hatten Freizeit. Diese verbrachten wir auf sehr unterschiedliche Art: Einige von uns setzten sich in eines der vielen gemütlichen Cafés, gingen shoppen oder besuchten den Markt. Eine Gemeinsamkeit verband uns alle: Zum Abschluss des Tages ließen wir es uns nicht nehmen, holländische Pommes zu probieren.
Gegen 16 Uhr fand die Rückreise statt: Ein Tag, der uns noch länge aufgrund seiner interessanten, ernsten, aber auch sehr spaßigen Momente in Erinnerung bleiben wird. Auch ein Tag, der uns ohne die finanzielle Unterstützung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische-Zusammenarbeit und der katholische Kirche nicht möglich gewesen wäre. Auch die planerische Unterstützung von Sixtina Harris hat zum Gelingen dieses Tages beigetragen. Herzlichen Dank dafür.